Der Schäfflertanz und die Pest in München: Eine Geschichte von Mut und Erinnerung

„…Und als die Angst die Stadt lähmte, traten sie hinaus auf die Straßen – mit Kränzen, Trommeln und klingendem Blech. Nicht um zu feiern, sondern um zu sagen: Das Leben geht weiter.“

I. Die Legende von der Pest und den leeren Straßen

Einer Stadtlegende zufolge erlebte München Anfang des 16. Jahrhunderts eine der schlimmsten Plagen seiner Zeit – einen Pestausbruch, der zwischen 1515 und 1517 gewütet haben soll. Die Straßen waren wie ausgestorben, die Märkte verstummten, und die Bürger verschanzten sich aus Angst in ihren Häusern.

Die Angst war nicht nur Panik – sie wurde lähmend. Die Menschen mieden einander, Gottesdienste wurden nur noch im Flüsterton abgehalten, selbst der Handel kam zum Erliegen.

Auch wenn in den Archiven keine direkten Belege für eine große Epidemie in genau diesem Zeitraum zu finden sind, lebt die Geschichte im Gedächtnis Münchens als Symbol für Angst und Isolation weiter.

II. Der Tanz als Herausforderung an den Tod

Der mündlichen Überlieferung nach entschieden sich in dieser Zeit die Fassbinder – also die Schäffler – dazu, hinaus auf die Straßen zu gehen. Sie organisierten einen Tanz – mit Kränzen, Federhüten und lebhaften Bewegungen. Sie tanzten auf dem Marienplatz, spielten Blasinstrumente und Trommeln und zogen die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich.

Das Ziel war einfach und zugleich symbolisch: zu zeigen, dass die Angst überwunden war und das Leben in die Stadt zurückkehrte. Der Mut dieser Menschen soll andere Bürger dazu inspiriert haben, ihre Häuser zu verlassen, den Handel wieder aufzunehmen und ihre Fenster zu öffnen.

Der Legende nach war Herzog Wilhelm IV. so beeindruckt von der Tat der Schäffler, dass er ihnen erlaubte, diesen Tanz öffentlich zu wiederholen – als Erinnerung an Mut und Wiedergeburt.

III. Schäfflertanz: eine Tradition alle sieben Jahre

Seitdem ist der Schäfflertanz eine Münchner Tradition. Alle sieben Jahre, beginnend am letzten Sonntag im Januar bis zum Beginn der Fastenzeit, führen Tänzer in grünen Kostümen, mit Kränzen und Trommeln ihren besonderen Reigen auf den Straßen Münchens und in der Umgebung auf.

Warum alle sieben Jahre? Dafür gibt es verschiedene Erklärungen:

  • Angeblich könnte nach sieben Jahren die Angst wiederkehren;
  • Oder es hängt mit wirtschaftlichen Zyklen im Handwerk zusammen;
  • Oder mit der symbolischen Bedeutung der Zahl Sieben für Vollendung und Erneuerung.

Erste verlässliche Quellen erwähnen den Tanz im Jahr 1702. Seitdem wurde die Tradition mit wenigen Unterbrechungen fortgesetzt. Der letzte Schäfflertanz fand 2019 statt, der nächste ist für 2026 geplant.

IV. Mehr als Folklore

Obwohl der Tanz längst Teil des bayerischen Brauchtums ist, ist er für die Münchnerinnen und Münchner mehr als eine Schau. Es ist ein Ritual, das an eine Zeit erinnert, in der der Mut einfacher Menschen – so die Legende – der Stadt wieder Leben einhauchte. Der Tanz wird von Handwerksmeistern und Mitgliedern alter Zünfte aufgeführt. Die Zuschauer werfen Münzen, applaudieren, Kinder schauen mit großen Augen – doch niemand vergisst, wie alles begann.

Jeder Kranz, jeder Schritt, jedes Klingeln der Glöckchen – ein Echo auf das legendäre Jahr 1517.

V. Der Schäfflertanz am Glockenspiel des Neuen Rathauses

Eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten Münchens ist das Glockenspiel am Turm des Neuen Rathauses (Neues Rathaus) am Marienplatz. Dieses mechanische Figurenspiel wurde 1908 installiert und zieht täglich Hunderte von Touristen an.

Das Glockenspiel befindet sich in etwa 43 Metern Höhe und besteht aus 43 Glocken und 32 beweglichen Figuren.

Es zeigt zwei historische Szenen:

  • 1. Die Hochzeit von Herzog Wilhelm V. mit Renata von Lothringen (1568) – im oberen Teil. Die Szene zeigt ein Ritterturnier zwischen Bayern und Lothringen.

  • 2. Der Schäfflertanz – im unteren Teil. Diese Szene symbolisiert die Rückkehr des Lebens in die Stadt nach der Pestepidemie (laut Stadtlegende) und verewigt eine Tradition, die bis heute fortgeführt wird.

Das musikalische Figurenspiel dauert etwa 12 Minuten und findet täglich statt:

  • Um 11:00 und 12:00 Uhr – ganzjährig,
  • Zusätzlich um 17:00 Uhr – von März bis Oktober.

Das Glockenspiel wurde 2007 restauriert, um die Präzision des Mechanismus und die Leuchtkraft der Figuren zu erhalten. Die tanzenden Schäfflerfiguren an der Uhr sind heute ein Symbol für Standhaftigkeit, kollektives Gedächtnis und die eigenständige Münchner Kultur.

Erinnerung und Überwindung

Der Schäfflertanz ist kein Fest der Ausgelassenheit, sondern der Standhaftigkeit. Es geht darum, wie in der Stille der Angst ein Trommelschlag ertönte – und München, eine der ersten Städte Europas, wieder auf die Straßen trat. Und seither erinnert es sich alle sieben Jahre daran – nicht, weil es nur Geschichte ist, sondern weil es der Geist der Stadt ist.

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