Der Weg des stillen Widerstands am Odeonsplatz: Ein Schritt für das Gewissen

Im Zentrum Münchens, an der majestätischen Feldherrnhalle auf dem Odeonsplatz, gehen täglich Hunderte von Menschen vorbei. Doch nur wenige achten auf die Reihe von Pflastersteinen in der schmalen Gasse links hinter dem Bauwerk. Diese Steine sind nicht golden, sie glänzen nicht in der Sonne und erinnern nicht an einzelne Opfer. Aber sie erzählen von bürgerlichem Mut – von Menschen, die unter Lebensgefahr ihren eigenen Weg wählten. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Historischer Kontext
Zur Zeit des Dritten Reiches hatte die Feldherrnhalle eine besondere symbolische Bedeutung. Hier wurde 1923 der Hitlerputsch niedergeschlagen, der gescheiterte Versuch Adolf Hitlers, in Bayern die Macht zu ergreifen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde dieser Ort zum „Heiligtum der Bewegung“. Eine Ehrengarde stand ständig vor der Halle, und jeder Passant war verpflichtet, den Hitlergruß zu zeigen – als Zeichen der Loyalität.
Wer sich weigerte, musste mit Festnahme, Verhören oder Schikanen rechnen. Eine scheinbar kleine Geste – mit großen Konsequenzen.
"Schleichweg" – der Weg der Verweigerer
Um dem erzwungenen Gruß zu entgehen, wählten viele Münchner einen Umweg über die schmale Viscardigasse, die hinter der Feldherrnhalle verläuft. Diese Route erhielt im Volksmund den Namen „Drückebergergasse“, was man heute wohl als „Gasse des Widerstands“ übersetzen würde.
Diejenigen, die diesen Weg nahmen, entschieden sich bewusst: keine Ehre für die Lüge, kein Gruß für das Regime – auch wenn es nur ein stiller Schritt zur Seite war. Für eine Diktatur war selbst so ein leiser Protest gefährlich – denn er zeigte anderen, dass es Alternativen gab.
Das heutige Denkmal
Im Jahr 1995, zum 50. Jahrestag des Kriegsendes, gestaltete der Künstler Bruno Wank ein kleines, aber eindrucksvolles Denkmal in der Viscardigasse. Eine Reihe von bronzenen Pflastersteinen wurde in den Boden eingelassen – als stilles Zeichen des zivilen Ungehorsams.
„Den Namenlosen, die dem Unrecht widerstanden.“
Ein Satz, der an all jene erinnert, die ohne Ruhm und Namen, aber mit Haltung dem Unrecht entgegentraten.
Bedeutung und Botschaft
Dieses zurückhaltende Denkmal zeigt: Widerstand muss nicht laut sein. Er kann leise, beharrlich und alltäglich sein. Er kann sich in einer Geste, in einem Umweg oder im Schweigen ausdrücken. In einer Welt, in der die Mehrheit den Ton vorgibt, bleibt die Freiheit des Einzelnen, einen eigenen Weg zu wählen, ein kostbares Gut.
Die Viscardigasse steht heute als Symbol für diese Wahlfreiheit – selbst unter den Bedingungen einer Diktatur.
Wo findet man die Gasse?
- ⌖ Lage: Viscardigasse, hinter der Feldherrnhalle, zwischen Odeonsplatz und Residenzstraße
- ⌖ Anfahrt: U-Bahn-Station Odeonsplatz (Linien U3, U4, U5, U6), Ausgang zur Feldherrnhalle
- ⌖ Zugang: Rund um die Uhr offen, ohne Schranken – Teil des öffentlichen Raums und kollektiven Gedächtnisses
Das Denkmal in der Viscardigasse ist keine touristische Attraktion im klassischen Sinn. Es drängt sich nicht auf, es erhebt keine Stimme. Es steht einfach da – als moralischer Wegweiser. Zur Erinnerung an jene, die einst einen Schritt zur Seite machten. Nicht aus Angst, sondern aus Überzeugung. Nicht, um sich zu verstecken – sondern, um nicht zu gehorchen.
Dieser Schritt ist heute Teil des Pflasters im Herzen Münchens. Und vielleicht halten auch Sie eines Tages inne, wenn Sie dort entlanggehen. Einfach, um sich zu erinnern: Selbst in der dunkelsten Zeit bleibt der Mensch frei, seinen Weg zu wählen.